Guenter Klarner - Geschichten
Kinderlärm

Schon wieder dieses Gekreische und Geschreie. "Ist denn bald Ruhe da unten?" Frau Schäfer beugt sich aus dem Fenster. Da muss doch endlich was geschehen. "Wenn jetzt nicht gleich Ruhe ist, ruf ich die Polizei!" Wütend klappt sie das Fenster zu. Jeden Tag das Gleiche: Kaum ist die Schule aus, füllt sich die Wiese unter ihrem Balkon mit schreienden, johlenden Kindern. Es ist, als ob sich die Kinder des ganzen Südviertels dort treffen. Bis zum Abend ging das so. "TOOOR" hört sie noch durch das geschlossene Fenster.

Aber dann wird es etwas ruhiger. Durch die Gardinen sieht sie, wie die Kinder abziehen. Nutzt es also doch etwas, wenn sie laut zu schimpfen. Mit etwas Glück würde sie jetzt eine Stunde Ruhe haben. Bis die Halbstarken kommen. Dann würde der Lärm weitergehen. Anders zwar, aber er würde weitergehen. Bis nachts sitzen die oft da, Bierdosen in der Hand, krakeelen herum, raufen oft sogar zusammen. Vor denen hat sie richtig Angst.

Sie streckt sich auf ihrem Sofa aus und die Stille beginnt sie einzulullen.

Bilder ziehen an ihren halb geschlossenen Augen vorbei. Sie sieht ihren Mann, sieht, wie sie letzten Herbst noch am Fluss spazieren waren. Er fehlt ihr. Nun hat sie nur noch ihren kleinen Dackel. Das ist auch so etwas. Seit zwei Wochen kann sie nicht mehr mit ihm auf der Wiese hinter dem Haus spazieren gehen. Die Eltern der Kinder, so heißt es, hatten sich über die vielen Hundehaufen beschwert. Und nun muss sie bis zum Stadtpark laufen. Da gibt es eine Hundewiese. Aber weit ist das. Und sie muss über drei große Straßen. Wo sie doch gar nicht mehr so gut zu Fuß ist. Ja, sie ist alt geworden.

Und vielleicht auch ein bisschen wunderlich. Früher hatte ihr der Lärm nichts ausgemacht. Aber da hatte sie ja auch noch mit jemandem reden können. Jetzt ist sie allein, die Nachbarn sagen zwar freundlich "Guten Tag", aber das ist auch schon alles. Niemand hat Zeit, mit ihr ein paar Worte zu wechseln. Und in der Wohnung ist das einzige Geräusch, das sie hört, ihre tickende Uhr. Und das Geschrei vor ihrem Fenster.
Da war sie richtig froh gewesen, als ihr Nachbar sie gefragt hatte, ob sie der Lärm auch so störe. Allerdings hatte er dann doch keine Zeit für ein Schwätzchen gehabt. Ob sie nicht auch die Unterschriftenliste unterschreiben wolle, hatte er gefragt. Und wenn sie nicht unterschreibe, würde der Lärm nie aufhören. Da hatte sie dann unterschrieben.

Irgendwie war ihr das jetzt unangenehm. Ihre Enkel tauchten vor ihren Augen auf. Die waren auch immer so lebendig. Aber eigentlich auch ganz lieb.
Vielleicht hätte man mit den jungen Leuten mal reden sollen. Vielleicht wussten die ja auch nicht wohin.

November 99


Und die jungen Leute? Lies selbst...

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